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BAG, Urteil vom 29. Januar 2015, Az. 2 AZR 280/14; vgl. auch NZA 2015, 673

Günstigkeitsvergleich zwischen gesetzlicher und vertraglicher Kündigungsfrist: Durchführung eines Gesamtvergleichs nötig!

Sachverhalt: Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 21 Jahren tätig. In ihrem Arbeitsvertrag heißt es in § 8 Nr. 1:

„Die Kündigungsfrist beträgt beiderseits sechs Monate zum 30. Juni oder 31. Dezember des Jahres.“

Die Beklagte möchte nun im Juni 2015 wegen Betriebsschließung eine Kündigung erklären. Wie ist die Kündigungsfrist zu beurteilen? 

Sound 

Eine vertragliche Kündigungsfrist kann sich gegen die maßgebliche gesetzliche Kündigungsfrist nur durchsetzen, wenn sie in jedem Fall zu einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt. Es genügt nicht, dass die vertragliche Regelung für die längere Zeit innerhalb eines Kalenderjahres den besseren Schutz gewährt. 

Lösung 

Zu prüfen ist, ob die Kündigung entsprechend der arbeitsvertraglichen Abrede mit einer Frist von sechs Monaten zum Halbjahresende ausgesprochen werden kann. 

Nach der gesetzlichen Regelung wäre vorliegend § 622 II 1 Nr. 7 BGB mit einer Frist von sieben Monaten zum Monatsende einschlägig. 

Die Parteien haben also im Arbeitsvertrag eine vom Gesetz in zweifacher Hinsicht (Länge der Frist und Beschränkung der Kündigungstermine auf das Halbjahresende) abweichende (konstitutive) Regelung getroffen. Fraglich ist, ob diese wirksam ist. 

1. Prüfung der Wirksamkeit der arbeitsvertraglichen vereinbarten Kündigungsfrist: 

Eine einzelvertragliche Verkürzung der Fristen des § 622 II BGB ist - vorbehaltlich einer Abrede i.S.v. § 622 IV 2 BGB - nicht möglich. Zulässig ist gemäß § 622 V 3 BGB allein die einzelvertragliche Vereinbarung längerer Kündigungsfristen als der in Abs. II der Norm vorgesehenen. Ob eine im Sinne des Gesetzes „längere“ Kündigungsfrist vereinbart wurde, ist durch einen Günstigkeitsvergleich zu ermitteln. 

a. Eine einzelvertragliche Regelung von Kündigungsfrist (hier sechs Monate) und Kündigungstermin (hier 30. Juni oder 31. Dezember) ist regelmäßig als Einheit zu betrachten. Für den Günstigkeitsvergleich zwischen vertraglicher und gesetzlicher Regelung ist deshalb grundsätzlich ein Gesamtvergleich vorzunehmen.[1] 

Eine isolierte Betrachtung der Kündigungsfrist kommt nur dann in Betracht, wenn die Parteien mit einer Beschränkung der Kündigungstermine besondere, eigenständige Ziele verfolgt haben. Das ist hier nicht der Fall. 

b. Für den Günstigkeitsvergleich kann nicht auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der konkreten Kündigung abgestellt werden. Vielmehr ist abstrakt die vertragliche Gesamtregelung auf ihre Vereinbarkeit mit den gesetzlichen Bestimmungen hin zu überprüfen. Spätestens mit dem Eintritt des Arbeitnehmers in die jeweilige „Stufe“ des § 622 II BGB muss feststehen, welche Regelung als die günstigere vorgehen wird.[2] 

§ 622 II, V 3 BGB besagt nicht, dass die im konkreten Fall längere Frist zur Anwendung gelangen müsste. Der Grundsatz, dass der Verwender sich nicht auf die Unwirksamkeit seiner eigenen Vertragsgestaltung berufen kann, der für den Vergleich im konkreten Kündigungszeitpunkt sprechen könnte, gilt allein für die hier nicht in Rede stehende Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB. 

Anmerkung: Das BAG ließ offen, ob eine einheitliche, von der Dauer der Betriebszugehörigkeit unabhängige einzelvertragliche Kündigungsfrist solange Anwendungsvorrang genießen kann, bis sie schließlich mit einer für den Arbeitnehmer günstigeren Frist gemäß der Stufenregelung des § 622 II 1 BGB kollidiert. Es scheint aber in diese Richtung zu tendieren:

„Dafür spricht, dass es sich bei den einzelnen Stufen des Gesetzes um jeweils selbständige Bestimmungen handeln dürfte. Für einen solchen Anwendungsvorrang streitet auch, dass bei dem gesetzlich ausdrücklich normierten Günstigkeitsvergleich nach § 4 III TVG erst auf den Zeitpunkt der Kollision mit der betreffenden Tarifnorm abzustellen sein soll. Demgegenüber dürfte unerheblich sein, ob die Vertragsparteien mit einer einheitlichen, „starren“ Frist ein „Gesamtpaket“ aus einer anfangs längeren, zuletzt dafür kürzeren Frist als im Gesetz vorgesehen „schnüren“ wollten.“[3]

c. Die einzelvertragliche Kombination einer kürzeren als der gesetzlich einschlägigen Kündigungsfrist mit eingeschränkten Kündigungsterminen (z.B. nur zum Quartals- oder Halbjahresende) setzt sich nicht schon dann gegen das Gesetz durch, wenn sie – wie hier in acht von zwölf Monaten – für die längere Zeit innerhalb eines Kalenderjahres den besseren Schutz gewährt.[4] 

Eine derartige Abrede ist nicht stets günstiger als die gesetzliche Regelung. Sie sieht sowohl längere als auch kürzere Fristen vor. In § 622 II BGB sind Mindestfristen bestimmt, die dem Arbeitnehmer – vorbehaltlich der Möglichkeiten des § 622 IV BGB – ausnahmslos zur Verfügung stehen sollen. Nach § 622 V 3 BGB müssen einzelvertraglich vereinbarte Kündigungsfristen „länger“ und nicht „meistens länger“ sein. 

Das entspricht dem Zweck des Gesetzes. Der Fristenlauf soll dem Arbeitnehmer vor allem die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz während des - noch - fortbestehenden Arbeitsverhältnisses (vgl. § 629 BGB) und damit einen nahtlosen Übergang in eine Anschlussbeschäftigung ermöglichen. Diese zeitlich begrenzte Schutzfunktion der Kündigungsfristen aktualisiert sich erst bei Ausspruch einer wirksamen Kündigung. Der Zweck dieses temporären Bestandsschutzes würde nur unvollkommen verwirklicht, wenn die Anwendung einer bloß „tendenziell“ günstigeren Regelung im konkreten Kündigungsfall zu einer das gesetzliche Mindestmaß unterschreitenden Frist führen könnte. 

2. Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 622 BGB: 

Die Beklagte muss gemäß § 622 II 1 Nr. 7 BGB eine Frist von sieben Monaten zum Monatsende einhalten. Die zu wahrende Kündigungsfrist beträgt also nicht etwa sieben Monate zum Halbjahresende. [5] 

Grund: Die Parteien wollten eingeschränkte Kündigungstermine nur im Verbund mit einer auf sechs Monate verkürzten Kündigungsfrist vereinbaren. Diesen Willen respektiert § 622 BGB. Auch insofern gilt, dass die Vorschrift lediglich Mindeststandards setzen möchte. Versteht man sie als Gebotsnorm, tritt eine für den Arbeitnehmer ungünstigere Vereinbarung insgesamt lediglich hintan, bleibt aber rechtlich als solche existent. Es gilt der Anwendungsvorrang des Gesetzes. Ordnet man § 622 II BGB als Verbotsnorm (§ 134 BGB) ein, ist die vertragliche Regelung in Gänze unwirksam (§ 139 BGB).

 


 

[1]     Vgl. BAG NZA 2015, 673 [RN 14]; BAGE 98, 205. 

[2]     Vgl. BAG NZA 2015, 673 [RN 16]. 

[3]     Vgl. BAG NZA 2015, 673 [RN 17]. 

[4]     Vgl. BAG NZA 2015, 673 [RN 18 ff]. 

[5]     Vgl. BAG NZA 2015, 673 [RN 22 ff].